Martin A. Völker / Farzin Foroutan #LostFoundTogetherness – Fotografie
Martin A. Völker / Farzin Foroutan #LostFoundTogetherness – Fotografie
Im Rahmen des Monats der Fotografie Off-Berlin präsentieren wir die Doppelausstellung #LostFoundTogetherness, in der die Fotokünstler Martin A. Völker (*1972) und Farzin Foroutan (*1992) mit neuen Arbeiten einen Bilddialog ihrer jeweils eigenen Weltwahrnehmung führen: Völker umkreist das Leben in der Zeitenwende, das zu Verlorenheit und Entmenschlichung führt; Foroutan erkundet die Herausforderungen seiner Anpassung an eine neue Lebenswelt und greift Themen wie Zugehörigkeit und Identität auf.
In der Doppelausstellung #LostFoundTogetherness führen die Fotokünstler Martin A. Völker (*1972) und Farzin Foroutan (*1992) mit neuen Arbeiten einen Bilddialog ihrer jeweils eigenen Weltwahrnehmung: der in Westberlin geborene Familienvater und der 20 Jahre jüngere iranische Immigrant, der seit vier Jahren in Berlin lebt. Martin A. Völker umkreist das Leben in zerstörerischen Zeiten und verwandelt Facetten einer zunehmend inhumanen Welt als „Disposal Area“ in surreale Schönheit, die verbindet. Farzin Foroutan erkundet die Herausforderungen seiner Anpassung an eine neue Lebenswelt und greift Themen wie Sichtbarkeit, Verbundenheit und Identitätsbildung auf. Er lotet Bemühungen aus, Trennendes zu überwinden, um ein tieferes Verständnis der Erfahrung von Zuwanderern in Berlin zu fördern. Beide Künstler zeigen, dass sich alles, was zwischen uns steht, in die Magie der Gemeinsamkeit verwandeln lässt. Ihre Bilder sprechen aus, dass wir heute vieles zu verlieren scheinen, und die Kunst des Lebens darin besteht, Neues zu finden bzw. sich im Neuen zu finden. Leben soll nämlich nicht heißen „Lost in Migration“, was die äußere und die innere Wanderungsbewegung einschließt.
Martin A. Völker beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit dem Leben an einer neuen Epochenschwelle: Vieles um uns herum erscheint albtraumhaft. Die Entmenschlichung umkreist uns und schleicht sich bisweilen tief in unser Leben und Innerstes. Die tägliche Ausweitung der Quality-Time-Zone wird zum harten Geschäft, das vieles ausblendet, was eigentlich zu bemerken und zu verändern ist. Wir können unsere Augen und Ohren nicht überall haben, wir wenden uns ab, wohl wissend, dass hinter unserem Rücken schlimme Dinge geschehen und Menschen stehen, die eine helfende Hand benötigen. Manchmal fühlen wir uns selbst wie jene, die verloren und unbeachtet hinter einem breiten Rücken stehen. In Berlin kommt das alles zusammen, das Lässige und das Vernachlässigte, das Hoffnungsvolle und das Hoffnungslose, das Wunder und das Wunde, die Strandbar und die Gestrandeten. In Berlin kommt zusammen, was zusammengehört, obwohl es nicht füreinander bestimmt war. Das Provisorische und Projekthafte macht den Spirit der Stadt aus. Hier kann etwas entstehen, was woanders keinen Platz hätte.
Die neuen Arbeiten von Martin A. Völker geben der Zeitenwende ein Gesicht. Sie zeigen jene Beschädigungen, die Menschen erleiden, und die Narben, welche jede:r innen und außen mit sich herumträgt. Das Schadhafte und Deformierte wird nicht verschwiegen, sondern auserkoren, neue ästhetische Reize zu entfalten, die dem Schönheitsbedürfnis entsprechen. Völkers Bilder erzählen vom Verlieren und Wiederfinden von Stolz und Würde, sowie davon, wie wir leben und leben wollen, was Einzelwesen gewinnen oder verlieren, wenn sie sich dazu entscheiden zusammenzuleben. Was bedeutet Zusammenleben überhaupt? Heißt Zusammenleben, gemeinsam in eine Richtung zu blicken, aber innerlich längst entzweit und abgestorben zu sein? Heißt Zusammenleben, sich zum zuschauenden Publikum zu versammeln oder sich zu sammeln, vom Brain Fog zu befreien, um sich in und mit anderen wiederzufinden? Zusammenleben kann bedeuten, sich mutig in die Synthese, in den Remix zu werfen, um Neues hervorzubringen. Das ist der Berliner Way of Life. Martin A. Völker gestaltet ihn mit Motiven, die er bei täglichen Streifzügen durch die Stadt sammelt und zusammensetzt. Die von ihm als „Derangements” bezeichneten Bilder greifen auf natürliche Fotowirklichkeiten zurück, die bereits aufgrund ungewohnter Perspektiven, übersehener Alltagsobjekte und -phänomene ins Traumhafte hinüberführen. Völker entwickelt die klassische Straßenfotografie zu einem magischen Realismus, der literarische Vorbilder hat, weiter. Seine narrative Fotografie schwebt zwischen Dokumentation, Malerei und Druckgrafik. Technisch bewegt er sich bewusst jenseits der üblichen Photoshop-Praxis. Eher sucht Völker die Nähe zur Lo-Fi-Fotografie, da der High-End-Wahn und die perfekte KI-Welle sich in der Zeitenwende wie eine Lüge anfühlen. Die Bearbeitung seiner Aufnahmen in klassischem Schwarz-Weiß erfolgt weitgehend analog, bevor die Farbgebung wiederum digital vollzogen wird, vergleichbar mit den gemischten Produktionsschritten und dem sog. SPARS Code einer CD in DAD.
Farzin Foroutan erkundet in seiner neuen Serie „Interspatial Camouflage“ eine zutiefst persönliche Zeitenwende – die Arbeiten sind eine Reflexion seiner eigenen täglichen Erfahrungen im Spannungsfeld von Anpassung und Auffallen-Wollen. Redewendungen wie das persische Sprichwort „Wenn du nicht in Ungnade fallen willst, misch dich unter die Menge“ oder das deutsche „mit den Wölfen heulen“ haben ihn schon immer inspiriert. Sie enthalten eine Wahrheit, die nachhallt: die Art und Weise, wie wir uns anpassen, um in neue Räume zu passen, und oft Teile unseres Wesens umgestalten, nur um uns akzeptiert zu fühlen.
Die Serie „Interspatial Camouflage“ entstand aus Foroutans Faszination dafür, wie wir, ähnlich wie Tiere, unsere eigenen Formen der Tarnung entwickeln: Wir nehmen neue „Farben“ und „Muster“ an, um in einer unbekannten Umgebung zu überleben. Auf den ersten Blick fühlt sich diese Anpassung wie Schutz an, ein Weg, sich zu verbinden und dazuzugehören. Aber er hat sich zugleich oft gefragt, ab wann das Sich-Anpassen bedeutet, sich selbst aus den Augen zu verlieren. Jedes Foto in seiner neuen Serie spiegelt diesen inneren Konflikt wider. Die vielschichtigen Texturen und verdeckten Figuren spiegeln die vielen Versionen des Selbst wider, die er im Laufe der Zeit seit seiner Ankunft in Berlin vor vier Jahren ausgeprägt hat: manchmal authentisch, manchmal bloß eine Vorstellung, manchmal von längerer Dauer, manchmal rasch vorübergehend. Die Umsetzung seiner neuen Arbeiten zwangen den Künstler, sich mit seinen stillen Kämpfen zu konfrontieren, die er immer wieder ausgefochten hat, um dem treu zu bleiben, was und wer er ist.
Foroutan hofft mit dieser Serie, nicht allein seinen inneren Kampf zeigend zu teilen, seine eigene Reise, sondern eine universelle Reise erkennbar werden zu lassen: eine Reise, die unsichtbare Räume in uns erforscht, wo der Druck, sich anzupassen, auf die Sehnsucht trifft, ganz bzw. ganzheitlich zu sein. Es ist eine Einladung, über das empfindliche Gleichgewicht zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Verbindung und Authentizität nachzudenken: Wer sind wir, wenn wir tatsächlich sind, und nicht mehr versuchen, uns anzupassen? Foroutans künstlerischer Ansatz kombiniert inszenierte Fotografie, digitale Manipulation und analoge Techniken, um diese Themen der Anpassung und Identität weiter zu erforschen. Durch den Einsatz von Polaroid-Fotografie und handgefertigten Fotocollagen, die er später digital vergrößert, unterbricht er Maßstab und Wahrnehmung und verstärkt die Spannung zwischen Präsenz und Verschwinden. Der physische Akt des Ausschneidens, Übereinanderlegens und Rekonstruierens von Bildern spiegelt den Prozess der Selbstmodellierung wider – das Fragmentieren und Wiederzusammensetzen der eigenen Identität als Reaktion auf neue Umgebungen. Durch dieses Zusammenspiel von analoger Taktilität und digitaler Präzision hinterfragt Foroutan die Grenzen zwischen Realität und Illusion und bietet eine poetische Meditation über Transformation und Zugehörigkeit.
Zu den Künstlern
Martin A. Völker (*1972 in Westberlin) ist Schriftsteller (Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland) und Kunstfotograf, spezialisiert auf konzeptuelle Straßenfotografie. Er erfasst die Diversität des urbanen Lebens und entwickelt die Straßenfotografie in Richtung eines magischen Realismus weiter. Beeinflusst ist er von seiner langjährigen Dozententätigkeit als Kulturwissenschaftler und Ästhetiker an der Berliner Humboldt-Universität. Seine Arbeiten sind in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt worden. Martin A. Völker lebt und arbeitet in Berlin.
Weitere Informationen zum Künstler finden Sie hier.
Farzin Foroutan (*1992 in Mashhad, Iran) ist ein iranischer Künstler, der sich auf Fotografie und bildende Kunst spezialisiert hat. Er ist bestrebt, das Wesen der Welt um ihn herum einzufangen und erforscht seine Verbindung mit der Gesellschaft und der Umwelt mit äußerster Sensibilität. Seine kreative Reise ist in seiner unmittelbaren Umgebung, in seinen Erinnerungen und persönlichen Wahrnehmungen verwurzelt und dient ihm als ständige Inspiration und Ausgangspunkt für seinen künstlerischen Ausdruck. Seine Arbeiten wurden international in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, u.a. in Deutschland, Großbritannien, der Schweiz, dem Libanon und Italien. Farzin Foroutan lebt und arbeitet in Berlin.
Weitere Informationen zum Künstler finden Sie hier.
Programm:
Freitag, 14. März 2025, 18:00 h
Vernissage. Die Künstler werden anwesend sein.
Samstag, 12. April 2025, 17:00 – 19:00 h
Finissage mit Artist Talk & Führung durch die Ausstellung.
Martin A. Völker / Farzin Foroutan #LostFoundTogetherness – Fotografie
15. März bis 12. April 2025
Vernissage: Freitag, 14. März 2025, 18.00 Uhr
Ort: nüüd.berlin gallery, Kronenstr. 18, 10117 Berlin-Mitte, U Stadtmitte
Offen: Do – Sa von 13.00 bis 19.00 Uhr u.n.V.