Philip Crawford, Self Defense Made Easy (No.1) – Video & Prints
Philip Crawford, Self Defense Made Easy (No.1) – Video & Prints
Self Defense Made Easy (No. 1) erkundet Instruktionen in Schwarze amerikanische Kampfkünste als einen Mechanismus für radikale soziale, politische und geistige Befreiung. Verschiedene Adaptionen und Aneignungen nicht-westlicher Selbstverteidigungstechniken, die Körper und Geist vereinen, haben sich in den Schwarzen Communities Amerikas über Jahrhunderte hinweg entfaltet. Diese kinästhetischen Systeme — oft mit religiösen und politischen Bewegungen verbunden — schaffen auch heute noch neue Wege der Selbsterkenntnis. Philip Crawfords Arbeit stützt sich vor allem auf die bekannten Klänge und Bilder der Kung-Fu-Kultur der 1980er Jahre, doch seine Erkundungen befassen sich auch mit den früheren Wurzeln Schwarzer amerikanischer Kampfkunst und unbewaffneter Selbstverteidigung, die mit Sklavenaufständen, religiösen Gemeinschaften, dem Militärdienst, der Solidarität mit globalen antiimperialistischen Bewegungen und dem Aufstieg von Black Power verbunden sind.
Im Mittelpunkt von Self Defense Made Easy (No. 1) steht eine zu eigen gemachte und überarbeitete Sequenz aus einem Lehrvideo für Kampfkunst („Self Defense Made Easy“, 1989, Century Film Studios, New York). In dieser Sequenz demonstriert Shidoshi Ron Van Clief die richtige Technik der sogenannten Schlangenfaust, einer geöffneten Handhaltung, die sich durch schnelle und kraftvolle Schläge auf die Vitalpunkte des Gegners auszeichnet — einschließlich des Gesichts, der Kehle und des Halses. Während seiner Demonstration erinnert Van Clief die Trainierenden immer wieder daran, sich zu entspannen und zu atmen. Er weist uns an, die Daumen sorgfältig unter die Handflächen zu klemmen, damit wir die Augen des Gegners effektiv treffen können, ohne uns selbst zu verletzen.
Dieser Schlag geht zu den Augen.
Behalte eine entspannte Atmung bei.
Rücken gerade.
Kopf aufrecht.
Finger gerade.
Und immer die Daumen nach oben strecken,
damit du dir keine Verletzungen zuziehst.
RELAX
Philip Crawfords Bemühungen, dieses kulturelle Artefakt zu entschlüsseln, sind verbunden mit seinem Fokus auf die Beziehung zwischen Vorstellungen von Selbstsein und Praktiken der Selbstverteidigung in Gemeinschaften, die von den aufklärerischen Definitionen des Selbst ausgeschlossen wurden. Von besonderem Interesse für seine Studie ist die Art und Weise, wie die Unterweisung in die Kampfkünste als kinästhetisches Wissen nicht nur eine Ausbildung zur Gewaltausübung oder zum Schutz ist, sondern vor allem eine Ausbildung zur individuellen und gemeinschaftlichen Selbstwerdung. Dieser Unterricht liefert die grundlegenden Mittel zur Verteidigung, die kreativ angewandt werden müssen, um epistemologischen Raum zu beanspruchen, soziale und politische Gemeinschaften aufzubauen und neue Modelle der Selbstfürsorge zu formen. Für den Künstler bietet die Beschäftigung mit Kampfkunstunterricht eine Möglichkeit, sowohl auf einen originären Moment der Schwarzen Selbstwerdung als auch auf die vielschichtige und improvisatorische Natur der Schwarzen Praktiken der Selbstverteidigung zu verweisen.
Diese Studie findet Widerhall in der Arbeit von Fred Moten, der darauf hinweist, dass die komplexe Reaktion Schwarzer und anderer marginalisierter Communities auf die regulatorischen Effekte ausgrenzender Selbstdefinitionen eine ständige Übung in Improvisation erfordert. In seiner Studie In the Break: The Aesthetics of the Black Radical Tradition (2003) stellt Moten fest, dass die radikale Schwarze Performance in der ästhetischen Praxis der Improvisation begründet ist, weil die Improvisation die Bedingung der Möglichkeit eines Schwarzen sozialen Lebens in einer anti-Schwarzen Welt ist. Kurzum: Die Performance des Schwarzen Selbst erfordert eine ständige Improvisation in und um die ausgrenzenden Definitionen, wer den Status des Menschen oder des Subjekts beanspruchen kann.
Def. Voraussicht: die Fähigkeit, richtig zu beurteilen, was in der Zukunft geschehen wird, und auf der Grundlage dieses Wissens das eigene Handeln zu planen
Improvisation wird in der Regel verstanden als ein Sprechen oder Handeln ohne Voraussicht, wie es die lateinische Etymologie des Begriffs impliziert. Doch erinnert Moten die Lesenden: „Das, was ohne Voraussicht ist, ist nichts anderes als Voraussicht,“ denn „Improvisation, in welchem Übermaß an Repräsentation auch immer, das jeglicher formalen Abweichung innewohnt, funktioniert immer auch als eine Art Vorahnung, wenn nicht gar prophetische Beschreibung“ (Moten 63). In der Ausstellung dokumentiert das eingebundene Lehrvideo eine Übertragung des Wissens, das für eine solche (nicht) vorausschauende Sicht erforderlich ist. Die Lektionen werden, um es mit Moten zu sagen, übertragen über die unüberbrückbare Kluft zwischen Entwaffnung und Vorbereitung, Gefühl und Reflexion.
ATME TIEF EIN
Die geloopte Animation und die sanft gepixelten Drucke in Self Defense Made Easy (No. 1) konzentrieren sich auf den „Schlag auf die Augen“ nicht als einen Moment der Aggression, sondern als einen Aufruf zur Selbstfindung und zur Vorbereitung auf die improvisierten Anforderungen der Selbstverteidigung. „Üben, üben, üben,“ intoniert Van Clief ruhig, während er die verschiedenen Schritte seiner Technik demonstriert. Kopf hoch. Finger strecken. Daumen einziehen. Indem Crawford diese einfache Bewegung mit einer niedrigen Bildfrequenz zeigt, verlangsamt er das Bild, so dass es genauer gelesen werden kann. In der ganzen Ausstellung legt der Künstler besonderes Augenmerk auf die Störungen in jedem Bild: die sorgfältig verpixelte Körnung, das schwer fassbare Flimmern des Bildschirms, die Bewegungsunschärfe des Körpers, die vergilbte Kaskade der Scanlinien. Diese wüsten und unvorhersehbaren Elemente, die er hervorhebt, markieren einen Überschuss an visueller Information, der dem Betrachter als formale Abweichung erscheinen mag. Doch gerade das Scheitern, die Form einzuhalten (abweichend, widerspenstig, unsichtbar zu sein) trägt die radikale Spur der Improvisation mit sich. Indem Crawford unsere Aufmerksamkeit auf diese visuellen Erzeugnisse lenkt, schlägt er vor, dass wir, wenn wir uns diesen Bildern in einem anderen Tempo nähern, ein anderes Gefühl für ihre Lesbarkeit bekommen könnten.
“Improvisation must be understood, then, as a matter of sight and as a matter of time, the time of a look ahead whether that looking is the shape of a progressivist line or rounded, turned. The time, shape, and space of improvisation is constructed by and figured as a set of determinations in and as light, by and through the illuminative event.” (Moten 64)
In der Ausstellung wird dieses veränderte Tempo von Yellow Bar (Restoration of a Visual Artifact) (2022, Animation, 2:06 einkanalig mit Ton, geloopt) vorgegeben. Indem Crawford die visuellen Anomalien, die er beim Betrachten des ursprünglichen VHS-Dokuments erlebt hat, wiederherstellt, macht er die zeitbasierte Arbeit sichtbar, was normalerweise unsichtbar bleibt. Die wiederhergestellten gelben Balken, die aufgrund eines Unterschieds in der Bildfrequenz zwischen analogem und digitalem Medium entstanden sind, werden durch ihre Bewegung zu einem Hauptdarsteller in der Ausstellung. Ihre Wahrnehmbarkeit offenbart jenes „etwas andere Zeitgefühl,“, das Ralph Ellison im berühmten Prolog seines Romans Der unsichtbare Mann beschreibt:
“Invisibility, let me explain, gives one a slightly different sense of time, you’re never quite on the beat. Sometimes you’re ahead, sometimes behind. Instead of a swift and imperceptible flowing of time, you are aware of its nodes, those points where time stands still or from which it leaps ahead.” (Ellison 8)
In dem geloopten Video ist es die Verschiebung der gelben Scanlinien, die einen scheinbar unregelmäßigen Takt vorgibt. Die unregelmäßige Ruhe der Hand, ihre gedämpften Bewegungen, werfen Fragen über ihre Absicht auf. Handelt es sich bei der stockenden Handbewegung, die Anleitungen für einen Verteidigungsschlag erprobt, doch um eine Geste der Begrüßung? Ruft uns die Person, die wir nicht sehen können, näher heran oder winkt sie uns fort? Ist es eine Forderung nach Anerkennung? Ist es ein Wink, um der Unsichtbarkeit entgegenzuwirken, die Ellison „einer eigentümlichen Disposition der Augen derer, mit denen ich in Kontakt komme“ (Ellison 1), zuschreibt? In jedem Fall erinnert die Geste an die gleichzeitige Unsichtbarkeit von blackness (etwa als unerkanntes Subjekt des Politischen, wie Saidiya Hartman vorschlägt) und ihrer gesteigerten Sichtbarkeit (was die Notwendigkeit einer ständigen Überwachung durch die Augen einer Welt hervorruft, die von der besonderen Disposition der anti-blackness geprägt ist, wie Simone Browne vorschlägt). Wenn Schwarze Selbstverteidigung — d.h. Schwarzes soziales Leben — routinemäßig als ein Akt der Aggression missverstanden wird, greift die undurchschaubare Handgeste in Yellow Bar diese Sichtweisen auf und reflektiert sie auf den Betrachter zurück.
WIEDERHOLE
Wenn wir die Störungen mitlesen und nicht versuchen, sie zu durchschauen, können wir erkennen, dass die Instruktionen nicht im Interesse der Regulierung des Schwarzen Körpers angeboten werden, sondern um die notwendigen Mittel für eine improvisierte, angewandte Selbstfürsorge bereitzustellen. Praktiken der Selbstwerdung erfordern Wiederholung: lebendige Variationen, wann und wie auch immer sie angewendet werden. Der Grenzbereich zwischen echter Wiederholung und praktizierter Improvisation spiegelt sich in Crawfords Übersetzung von Standbildern aus dem Lehrvideo auf Papier wider. Jede der daraus resultierenden gedruckten “Kopien” stellt die Annahme der Reproduzierbarkeit des Mediums in Frage und fordert so die Beständigkeit des Bildes heraus. Insbesondere die Vielfalt und Unwiederholbarkeit der Farbfeldraster — von denen jedes seinen eigenen Platz als separater Moment im Akt der Unterweisung und im Prozess der Herstellung einnimmt — lenken den Fokus weg vom Körper (der zu einer abwesenden Präsenz wird) und auf das Flimmern des Lichts auf dem Bildschirm, bevor es auf die Augen trifft.
Das visuelle Rauschen, auf das Crawford verweist, ist die deutlichste ästhetische Darstellung der improvisatorischen Praktiken, die für die komplexe Performance Schwarzer Selbstbestimmung erforderlich sind. In Self Defense Made Easy (No. 1) möchte uns der Künstler dazu einladen, innezuhalten, zu entspannen und tief durchzuatmen, sich seiner Betrachtung der Bilder anzuschließen — und dann das Ganze zu wiederholen.
Zitierte Werke
Browne, Simone. Dark Matters: On the Surveillance of Blackness. Duke University Press, 2015.
Ellison, Ralph. Invisible Man. 1952. The Modern Library, 1994.
Hartman, Saidiya V. Scenes of Subjection: Terror, Slavery, and Self-Making in Nineteenth-Century America. Oxford University Press, 1997. p 61.
Moten, Fred. In the Break: The Aesthetics of the Black Radical Tradition. University of Minnesota Press, 2003.
Statement des Künstlers über seine Arbeit
Die Untersuchung von “schnellen Bildern” ist ein zentraler Bestandteil meiner künstlerischen Praxis. Ich untersuche Möglichkeiten, ihre Wahrnehmung zu verlangsamen, um hegemoniale historische Narrative zu erschüttern, Unterdrückungssysteme in Frage zu stellen und Machttechnologien zu reklamieren. In meiner Arbeit nehmen schnelle Bilder die Form von visuellen Darstellungen, Aussagen, Objekten und Klängen an, die aus der Populärkultur übernommen wurden. Diese Dinge sind schnell nicht nur wegen der Geschwindigkeit, mit der sie produziert und konsumiert werden, sondern auch, weil die Erzählungen, die sie übermitteln, leicht mit den Erwartungen übereinstimmen, die wir an die Welt haben.
Comic-Bücher, religiöse Traktate, Elektroartikel, Film-Memorabilien und andere populäre Artefakte werden zu narrativen Rahmen und materiellen Ressourcen für eine interdisziplinäre Ausstellungspraxis, die Arbeiten auf Papier, Skulpturen, Installationen, Videos und Performances umfasst. Durch die intertextuelle Schichtung dieser adaptierten Spuren hoffe ich, eine dissonante, spekulative Nostalgie zu aktivieren, die es uns ermöglicht, unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu überdenken.
Weitere Informationen über Philip Crawford finden Sie hier.
Programm:
Freitag, 28. April 2023, 18.00 h
Vernissage. Der Künstler wird anwesend sein.
Samstag, 13. Mai 2023, 16.00 h
Künstlergespräch mit Philip Crawford.
Samstag, 10. Juni 2023, 17.00 h
Finissage.
Philip Crawford , Self Defense Made Easy (No.1)
29. April – 10. Juni 2023
Vernissage: Freitag, 28. April 2023, 18.00 h
Where: nüüd.berlin gallery, Kronenstr. 18, 10117 Berlin-Mitte, U Stadtmitte
Open: Donnerstag – Samstag, 13.00 – 19.00 h