Daniela Finke, A Present from the Past – Werkschau
Daniela Finke, A Present from the Past – Werkschau
In der Werkschau zeigen wir ausgewählte Einzelarbeiten aus aktuellen und älteren Serien der in Berlin lebenden Fotokünstlerin Daniela Finke. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht ihre neueste Werkserie „A Present from the Past“, in der die Künstlerin die einprägsame Erscheinung der Pfeilschwanzkrebse (Limulidae, engl. Horseshoe Crabs) erkundet, einer bedrohten Spezies, deren Alter auf über 400 Millionen Jahre geschätzt wird und deren bläuliches Blut der Menschheit großen medizinischen Nutzen bringt.
Daniela Finke, die für ihr Werk zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen erhielt, u.a. den Europäischen Architekturfotografie-Preis, erkundet in ihren Arbeiten die unsichtbaren Verhältnisse der sichtbaren Welt. In leuchtenden Farben markiert sie Körper, Architekturen, Alltagsdinge oder Naturphänomene, stellt sie unscharf. So bringen ihre Bilder elementare Formen und Beziehungen zum Vorschein und kehren die Innenseite der Wahrnehmung nach außen. Wie magische Illuminationen des Unbewussten, abstrakt und konkret zugleich, spielen ihre Serien die temporären Muster der Wahrnehmung durch und geben ihre fragile, rational kaum fassbare Gestalt frei.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die neueste Werkserie „A Present from the Past“, in der sich die Künstlerin mit der uralten Spezies der Pfeilschwanzkrebse (Limulidae, engl. Horseshoe Crabs) auseinandersetzt. In den unterschiedlich bearbeiteten und inszenierten Fotografien taucht die Kontur des Tieres immer wieder als stereotypes Zeichen auf: als Sternbild oder skarabäenhaftes Kleinod, als Schatten im Ozeanblau von Cyanotypien, das auf die Färbung des begehrten bläulichen Blutes der Pfeilschwanzkrebse verweist.
A Present from the Past – nicht nur die vom Aussterben bedrohte Spezies der Limulidae, sondern auch weitere Bildmotive dieser Werkschau scheinen ein Geschenk aus der Vergangenheit zu sein: weißblaue Gletscherfronten aus Patagonien, entsorgte Alltagsdinge aus der Serie „Ausgesetzt“ oder kanonische Bauten moderner Architektur. Durch Reduktion der Formen macht Daniela Finke Strukturen des Lebendigen sichtbar und setzt eine tanzende Gegenwart frei.
A Present from the Past (seit 2015/2023)
Die Werkserie „A Present from the Past“, die der Werkschau ihren Titel gibt, erkundet die einprägsame Erscheinung der Pfeilschwanzkrebse (Limulidae, auch Hufeisenkrebse wie engl. Horseshoe Crabs), einer Spezies, deren Alter auf über 400 Millionen Jahre geschätzt wird und die heute vor allem in tropischen Gewässern, an der amerikanischen Atlantikküste und in Südostasien lebt. Ihre alienhafte Erscheinung mit dem stachelbewehrten Panzer und pfeilspitzenartigen Schwanz lässt sie zuerst wie bedrohliche Fabelwesen aussehen. Dabei reichen ihre wissenschaftliche Erforschung und Ausbeutung in Europa bis an den Beginn des 17. Jahrhunderts zurück. Ein aus dem bläulichen Blut der Tiere hergestellter Bakterientest gehört heute zu den medizinischen Standards, weshalb die Krebse zu den bedrohten Tierarten zählen. Versuche einer schonenden Gewinnung oder synthetischen Herstellung des Blutes haben daran wenig geändert.
In den unterschiedlich bearbeiteten und inszenierten Fotografien der Werkserie taucht die Kontur des Krebses immer wieder als stereotypes Zeichen auf, mit wechselnder, nie ganz klarer Bedeutung. Es steht für das Geheimnis und die Ungreifbarkeit der Herkunft von Limulus ebenso wie für ihre wissenschaftliche, mythische oder individuelle Ausbeutung. Ob als Sternbild oder skarabäenhaftes Kleinod, als Schatten im Ozeanblau von Cyanotypien, das auf das begehrte blaue Blut der Pfeilschwanzkrebse verweist: Seziert, durchleuchtet und zerteilt offenbart dieser Körper seine vollkommene Andersheit: Wie konnte die Spezies so lange überleben? Wie rezipieren diese Tiere mit ihren Augenpaaren die Welt der Gegenwart, in der sie nach Millionen Jahren ihres Überlebens vielleicht ihrer Auslöschung entgegensehen?
Nocturne (2022)
In der Serie „Nocturne“ visualisiert Daniela Finke digitale Tonfragmente, künstlerisch frei. In Anlehnung an die Fassade des Gebäudes der Berliner Philharmonie (Hans Scharoun) verwendet sie für die Bildmotive goldeloxiertes Trägermaterial. Abhängig vom Einfall des Lichtes schaffen Lichtreflexe eine bewegte Oberfläche, eine sich ständig ändernde Kulisse.
Ausgesetzt / Discarded (2020/21)
Die Werkserie „Ausgesetzt/Discarded“ zeigt Gegenstände, die auf den Straßen Berlins zum Verschenken abgelegt wurden. Sie wurden von der Künstlerin über Jahre auf ihrem Weg zu ihrem Atelier vorgefunden. Vertraute Objekte – Geschirr, Schuhe, Möbel, Bücher oder eine Gitarre – wechseln mit kuriosen: ein einzelner Eierbecher mit Armen, Beinen und Gesicht, eine Kappe mit Plastikvisier oder mit Dingen, deren Zweck sich kaum mehr erschließen mag. Auch die Umgebungen, in denen die Objekte abgelegt sind, geraten in den Blick: Autos am Straßenrand, Bäume, Hausfassaden, ein Stromkasten mit Plakatanschlägen, ein Apothekenschild. Die Umgebungen sind ebenso wie die abgelegten Gegenstände teilweise mit Graffiti verziert: Auf einem Wohnmobil ist ein Tag mit dem Michelin-Männchen zu erkennen, auf einer Mülltonne der Schriftzug Youth is Crime; auf eine abgelegte Matratze wurden die Gesichter eines im Bett liegenden Paares und die Worte Home Street Home gesprüht.
Während die Werbefotografie Ansichten von Umgebungen kreiert, in denen Sinn und Reiz der beworbenen Waren atmosphärisch totalisiert werden, zeigt die Serie „Ausgesetzt/Discarded“ eine Warenwelt, deren ästhetische Botschaft sich an ihrer Umgebung bricht. Die Negativ-Verkehrung der Bilder mit ihrer geisterhaft anmutenden Kolorierung und Kontrastierung führt in der Tradition der Vanitas-Motive in ein Zwischenreich, in dem das Verfallene und Tote optisch für den Moment des Anblicks noch einmal zu neuem Leben erwacht. Indem hier, in der Gegenwelt zum Konsum, wie ihn die tempelartige Architektur der Pariser Galeries Lafayette verkörpert, jede Distinktion und Eitelkeit des Besitzes entfällt, offenbaren die Dinge in ihrem Ausgesetztsein auf der Straße ihre transzendenzlose, kreatürliche Sterblichkeit.
A Dance of the Stars (seit 2019) / A Dance of Abstraction (seit 2018)
In ihren Bildserien „Dance of the Stars“ und „Dance of Abstraction“ bezieht sich Daniela Finke auf kanonische Bauten moderner und postmoderner Architektur: Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon, Frank Lloyd Wrights Falling Water, Hans Scharouns Gebäude in der Weißenhof-Siedlung oder verschiedene Motive des Bauhauses – aber auch Architekturen von Zaha Hadid, Renzo Piano oder Frank Gehry erscheinen in den Bildern ganz anders als in jenen traditionellen Architekturfotografien, die den Inbegriff ihrer historischen Überlieferung verkörpern. In Daniela Finkes Arbeiten sind diese Bauten ohne die Hinweise in den Bildtiteln mitunter kaum zu identifizieren. Die strengen Formen der Architekturen verschwimmen, scheinen zu tanzen oder lösen sich in abstrakten, leuchtenden Farbschemen und Lichtreflexionen auf.
So wie die Künstlerin in ihren Serien zu lebendigen Körpern wie „Baywatch“ oder „A Present from the Past“ durch Reduktion der Formen Strukturen des Lebendigen sichtbar zu machen sucht, legt sie in den architektonischen Strukturen eine tanzende Gegenwart frei, die hinter ihrem ikonisch-modernistischen Formbewusstsein verschwunden ist.
Waking Night (seit 2013)
In Daniela Finkes Serie „Waking Night“ sind nächtliche Ansichten aus verschiedenen Städten zu sehen: Straßenszenen, eine Tankstelle, einzelne Gebäude. Die Kamera erfasst sowohl ganze Stadtpanoramen und konzentriert sich dann wieder auf Details am Straßenrand wie Telefonboxen oder ein einzelnes Auto auf einem leeren Parkplatz. In manchen Szenen deuten sich filmische Klischees an: ein Liebespaar auf einer Mauer; ein Obdachloser, der Müllhaufen durchsucht. Andere Motive wie die illuminierten Fassaden von modernen Gebäuden, wirken menschleer und abstrakt.
Die extensive Gestaltung von Lichtstimmungen verbindet alle Motive: Während in der klassischen Nachtfotografie seit Brassaï der Einfall der künstlichen Stadtbeleuchtung sparsam eingesetzt wird, um Kontraste zu erhöhen und Störungen und Bildrauschen zu vermeiden, weitet Finke in der digitalen Bearbeitung ihrer Aufnahmen die Lichtstreuung bis zur Diffusion der eigentlichen Lichtquellen aus. Oft wirken die Bilder dadurch so, als seien gar nicht die Städte und Gebäude das Motiv, sondern die spezifischen Räume und Szenerien, die das überdehnte, künstliche Licht erzeugt.
Dahinter steht eine Reflexion auf die medialen Oberflächen heutiger Großstädte, die einerseits im Wesentlichen als Werbeträger dienen sollen, die andererseits aber direkt mit der Fotografie korrespondieren. Ähnlich wie in ihrer Serie „Ausgesetzt/Discarded“ bringt die Umkehrung von materiellen und immateriellen Bildmotiven in den Aufnahmen eine invertierte Welt zum Vorschein, eine Art Zwischenreich, das erst in der Fotografie zum Leben erweckt wird und zugleich eine hohe emotionale Dimension freigibt, die sich auch an den an populären Songtiteln orientierten Bildtiteln zeigt.
Eisheilige (2007/2008)
Perito-Moreno, der kalbende Gletscher am Lago Argentino in Patagonien, Provinz Santa Cruz: 50 Meter hoch türmt sich die weißblaue Gletscherfront vor dem grünen Wasser des riesigen Sees. Hier sind die Folgen der Erderwärmung als Naturschauspiel zu besichtigen: Immer wieder brechen blaue Eisblöcke ab. Wie verlorene Inseln schwimmen sie auf dem See. Und morgen sind sie nicht mehr da.
Baywatch (2005) / Life Saver’s Cabin (2007)
Daniela Finkes Fotoserie Baywatch bezieht sich im Titel auf die berühmte US-amerikanische TV-Serie der 1990er Jahre. Allerdings stammen ihre Aufnahmen nicht aus Malibu oder Hawaii, sondern von den Europameisterschaften der Rettungsschwimmer:innen in Warnemünde an der Ostsee. Die Bildtitel, die mitunter direkt auf Figuren oder Bezeichnungen aus der TV-Serie anspielen, dienen wie so oft in den Arbeiten der Künstlerin einem bestimmten Zeitgefühl oder einer Zeitstimmung.
Das dem Körperkult der neunziger Jahre verpflichtete Setting von Baywatch erfährt in der Fotoserie eine bedeutsame Transformation. Statt dramatisch aufgeladene Episodenhandlungen mit markanten Charakteren zeigen die von Daniela Finke stark bearbeitete Aufnahmen standardisierte Körper mit Nummernleibchen in einer klar normierten Leistungskonkurrenz.
Durch den Unschärfeeffekt, durch den die Aufnahmen in ihrer digitalen Bearbeitung Figuren und Szenen hinter einen flächigen Wahrnehmungsschleier stellen, werden die individuellen Details getilgt, Symmetrien und Gruppenzugehörigkeiten betont, während die leuchtenden Farben und Lichtreflexe die Bilder bestimmen. Aus ihnen entwickelt sich ein eigenes, offenes Zeichensystem, eine zweite, nicht mehr klar bestimmbare Bedeutungsebene. Sie überschreibt die kulturelle Determination des Körpers als sexuelles Objekt oder Leistungsträger durch die farbliche Markierung – zugleich greift dieses Zeichensystem die originären Farben der Baywatch-Serie auf und enthebt damit die Fotografie des Anspruches, Realität wie ein Hier und Jetzt und als einheitliches Wahrnehmungskontinuum zu repräsentieren.
Die Serie „Life Saver`s Cabin“ zeigt die individuellen Strandhäuschen der Rettungsschwimmer. Der Fokus auf Strandarchitektur ergänzt den Bildzyklus „Baywatch“.
Daniela Finke lebt und arbeitet in Berlin, weitere Informationen finden Sie hier.
3D-Tour der Ausstellung:
courtesy of ART@Berlin
Programm:
Donnerstag, 09. November 2023, 18:00 h
Vernissage. Die Künstlerin wird anwesend sein.
Freitag, 22. Dezember 2023, 16:00 h
Finissage, Artist Talk & Führung durch die Ausstellung.
Daniela Finke, A Present from the Past
10. November bis 22. Dezember 2023
Vernissage: Donnerstag, 09. November 2023, 18.00 Uhr
Ort: nüüd.berlin gallery, Kronenstr. 18, 10117 Berlin-Mitte, U Stadtmitte
Offen: Do – Sa von 13.00 bis 19.00 Uhr